Farewell

(Das ist der letzte von vier Blogeinträgen, die ich alle zur selben Zeit veröffentlicht habe)

Was verbleibt

Wenn ich die Augen schliesse sind es Gesichter, die meine Erinnerungen bevöklern und farbig machen.

Als ich vor zwei Tagen nach Montezuma zurückkehrte, um Campingsachen zurückzubringen, verschluckte die Leere auf dem Campus meine Augen und ich erstickte am Vakuum, dass die Abwesenheit der Menschen hinterliess. Wie ein Geist wanderte ich ungesehen ein letztes Mal durch die Bubble, mein zu Hause, umgeben von unsichtbaren Erinnerungen. Es waren die Menschen, die meine zwei Jahre zu dem machten, was sie waren.

Es waren die Menschen, die ich am und durch das UWC kennen gelernt habe, die mich am meisten geprägt haben. Dabei spielte es absolut keine Rolle von welchen Land oder welcher Kultur sie kamen und schon gar nicht ob gleich alt, 30 Jahre älter oder 10 Jahre jünger als ich waren. Es waren nebensächliche und alltägliche Dinge die ich gelernt habe aber auch grundlegende Erkenntnisse, die ich für nichts in der Welt eintauschen würde.

Hannah und Su Lynn, die mir durch ihre Depressionen gelernt haben wie ich mit Menschen mit psychischen Krankheiten leben kann und gleichzeitig helfe und mich abgrenze.

Molly und Stella, die mir die Augen und das Herz zu den kleinen und grösseren unerklärlichen Wundern der Welt geöffnet haben.

Laine, die durch ihre funkensprühende Leidenschaft für die Wildnis das kleine Lagerfeuer in mir in ein Waldbrand verwandelt hat.

Pablo, der mit einer gehobenen Augenbraue jede meiner Sichtweisen auf die Welt so lange umdrehte und hinterfragte, bis ich mindestens 10 andere Perspektiven auf ein Problem in Betracht bezogen hatte.

Harry und Hellen, die mir mit ihrem offenen Haus und Herzen immer wieder ein Gefühl von zu Hause schenkten.

Colin, der durch seine konstant inspirierende Präsenz sicherstellte, dass die Tür zu der Quelle meiner Kreativität immer weit offen bleibt.

Isabel, die mir um 2 Uhr morgens Geschichten aus ihrem Leben als half-native American, zwischen Stadt und Reservat erzählte.

Josebell, die mich lernte, mich mit meinen Händen, Mimik und Herz auszudrücken, wenn die Sprache zu einer unüberwindbaren Mauer wurde.

Fiona, die zuhörte und verstand.

Andrew, der provokativ für regelmässige innerliche Explosionen sorgte.

Codou, die mir mit ihrem unerschütterlichen Glauben an Vertrauen und Ehrlichkeit lernte, dass die einzige richtige Lösung für einen Konflikt ehrliche und direkte Kommunikation ist.

Ayesha, die mir klar machte, wie schwer Kommunikation und Konflikte lösen zwischen einer westlich liberalen und östlich konservativen Sichtweise auf die Dinge sein kann.

Catalina, Kaamya und Carlie, die in zu ruhigen Zeiten für ein stürmisches Meer sorgten und Freundschaft neu definierten.

Anna, die eine Konstante blieb, wenn alles wieder mal in die Brüche ging und mit mir zusammen die Welt der Kreativität entdeckte.

Anneli, die mir die Tür zum Klettern öffnete und mit ihrem Lachen die Welt ansteckte.

Es war schwer, so unglaublich schwer sie alle gehen zu lassen. Ein plötzlicher Windstoss hat uns wie die Fallschirmchensamen einer Pusteblume über die ganze Welt verteilt. Alle werden wir unsere ganz eigenen Wege gehen, doch so manche Wege werden sich für ein Leben lang immer wieder kreuzen.

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Und was jetzt?

Ja, das frage ich mich auch.

Ein Zwischenjahr ist doch immer eine gute Idee.

Ich bin voller Ideen. Aber was ist am Wichtigsten? Wo soll ich anfangen?

Fragen, Fragen, Fragen.

Tja.

Ich weiss nicht so genau, wann ich die Antworten finde. Aber spielt es denn eine Rolle? Schnelligkeit? Ich war immer schnell. Vielleicht muss ich jetzt ein wenig nachholen und mal langsam machen. Vielleicht.

 

Jetzt wisst ihr alles.

Danke für jede motivierende Nachricht, jede Rückmeldung, Feedback und Fragen, die ich bekommen habe auf meine Berichte. Ich habe für euch geschrieben aber auch für mich und ich bin so froh, diese bunten, ernsten, ehrlichen, dramatischen und unterhaltsamen Aufzeichnungen der letzten zwei Jahren zu haben. Ich glaube nicht, dass ich so viel geschrieben hätte, ohne eine interessierte Leserschaft, die immer auf den nächsten Blog wartete. Danke fürs Interessiert sein und fürs Zuhören.

Eure

Selina

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Kehrseite

Ich sitze in meiner Hängematte im Schatten der Aspen mit ihren satt grünen Blättern, die im Wind rauschen. Seit einigen Tagen studiere ich an der Fortsetzung dieses Abschlussblogs herum. Wie soll ich die Kehrseite meiner UWC Zeit in Worte fassen? Es ist so viel einfacher über die guten Dinge zu schreiben.

UWC makes education a force to unite people, nations and cultures for peace and a sustainable future.

Das ist er, der grosse Werbespruch und die Mission der UWCs. Vielversprechend. Der Grund, warum sich jedes Jahr tausende von Jugendlichen bei ihren national committees bewerben.

Und ja, die Idee ist gut. Grossartig sogar. Lass Jugendliche aus aller Welt für zwei Jahre zusammen in einem Internat leben und schau was dabei herauskommt. Die Idee hätte riesiges Potential. Aber momentan zeigen die grossen Werbeplakate mit den lachenden jungen Gesichtern in unterschiedlichen Hautfarben den grossen Wörtern wie „intercultural understanding“ oder „community for peace“, ein überspitztes Bild von dem was UWC ist. Zuallererst ist es nämlich eine Oberstufenschule, mit deren Abschluss man Zugang zu den meisten Universitäten in der Welt hat. Gleichzeitig ist, wer in seinen Lebenslauf UWC reinschreiben kann, im Wettbewerb um die besten Collegeplätze einen Schritt voraus (UWC Absolventen sind allgemein beliebt bei Colleges und Universitäten). Der akademischen Teil, das IB, ist ein enormes Energie- und Zeitfressmonster, das vom ersten Schultag Stress verbreitet. Dazu kommt das Leben an einem Internat, das kaum Rückzugsmöglichkeiten bietet, um sich hinzusetzen und in Ruhe Schularbeiten zu erledigen. Hundert spannendere Sachen bieten konstante Ablenkung. Das Angebot von Aktivitäten neben der Schule ist fast endlos und man kann sich wunderschön darin verlieren, hundert Dinge gleichzeitig machen und immer noch das Gefühl haben, alles zu verpassen. Und dann ist man die ganze Zeit von zweihundertdreissig interessanten Menschen umgeben, die man gerne alle irgendwie kennen lernen will aber nicht mal für die engsten Freunde genug Zeit hat. Schlafen hat man da auch noch nicht mitgerechnet.

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Mit diesem Lebensstil ist effektive Energieverteilung gefragt. Was ist am Wichtigsten? Gute Noten und die Zukunft? Möglichst viel Verrücktes erleben? Spontanität? Menschen? Ein spezielles Projekt? Schlaf? Es gibt eine endlose Liste. Die meisten finden irgendwo einen Mittelweg. Dennoch ist die Energieverteilung alles andere als effektiv. Es gibt zu viele Projekte, deren Grundgedanke zwar gut ist, doch die Umsetzung an der Unzuverlässigkeit von Schüler, die schon zu viel machen, und überlasteten Lehrern leidet. Es ist schwer, sich auf ein paar wenige Dinge zu konzentrieren, denen man dafür volle Aufmerksamkeit schenken kann. Irgendwer oder Irgendwas leidet immer, sei es die Schule, gute Vorsätze, Versprechen oder Freunde. Zeit und Energie sind zwei grosse Probleme, die von kaum jemandem elegant gelöst werden können. UWC stellt grosse Dinge auf die Beine, ja, Fundraising für den Homeless Shelter, 3 aufwändige Regional Day Shows pro Jahr, Serviceprojektwochen an der Grenze zu Mexico, eine Annual Conference mit Speakers aus dem ganzen Land und darüber hinaus, das wachsende Wilderness Programm, die Schulfarm und viele „nebendran Projekte“. Und doch ist damit nach meiner Meinung nur ein kleiner Teil des Potentials genutzt, das UWC hat. Weniger wäre so viel mehr.

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Das Wurzelschlagproblem

UWC bietet ein extrem nahrhafter Boden mit fast unbegrenzten Möglichkeiten sich zu verausgaben, Neues auszuprobieren oder das zu tun, was man leidenschaftlich gerne tut. Doch nicht alle können Wurzeln schlagen in diesem Boden. Es gibt second years, die auch im letzten Semester einfach immer noch gar nichts auf die Reihe kriegen und sich in konstanter Erschöpfung in ihrem Zimmer verkriechen und nicht mehr wirklich einen Teil der Gemeinschaft sind. Für manche funktioniert UWC einfach nicht, aus den verschiedensten Gründen. Auf der anderen Seite gibt es die, die erst richtig aufblühen mit all den Möglichkeiten und erfolgreich zwischen Schulstress, Schlafen und allem anderen balancieren, strahlen und dabei ganz alleine Erstaunliches auf die Beine stellen. Natürlich gibt es auch die verschiedensten Graustufen zwischen den beiden Extremen. Ob UWC klappt oder nicht, kann leider niemand voraussagen. Ausprobieren ist das einzige, das hilft. So ist die Schülergemeinschaft ein Gemisch aus hochmotivierten, depressiven, launischen, still kämpfenden, laut heulenden, glücklichen und unglücklichen Jugendlichen, die nicht immer gut funktioniert. Die Motivierten nerven die Demotivierten und veranlassen sie dazu, sich über alles in dreifacher Lautstärke zu beklagen, die Depressiven tendieren dazu, alles in ihrem Nähren Umkreis in ein schwarzes Loch zu ziehen, die „Reifen“ regen sich über die „Unreifen“ auf, die Weltverbesserer resignieren mit einem Seufzer der Verzweiflung über die unverständlichen in Stein gemeisselten Regeln der undurchsichtigen Administration, aus einer Mücke wird fast immer ein Dinosaurier und die Schüler wenden sich gegen die Lehrer und umgekehrt anstatt zu reden. Umgekehrt werden second years zu den geliebten grossen Geschwister der firsties, Freundschaften zwischen Schüler und Lehrer entstehen, Konflikte werden auf Weisen gelöst, die wirklich Hoffnung auf Weltfrieden geben, die Motivierten tun sich irgendwann zusammen und lernen ohne die Demotivierten auszukommen, die ganze Schülergemeinschaft streikt kollektiv wenn ihnen eine undemokratische oder undurchsichtige Entscheidung der Schulleitung nicht passt und die meisten Wilderness instructors, die von aussen zum UWC kommen und trips leiten sind oft so begeistert nach einer Woche, dass sie sofort Lehrer werden möchten. Balance in der Dynamik der Gemeinschaft gibt es kaum, es ist ein ständiges auf und ab, das so oft hindernd wirkt und Frustration verbreitet.

Frustration mit der Schule

Ich habe schon einmal über den akademischen Teil am UWC geschrieben und darüber, dass das IB und UWC unmöglich Hand in Hand gehen können. Entweder das eine oder das andere ist erfolgreich, doch ergänzen können sich die beiden nicht.

Neben dem Lehrplan, der uns in Fächern wie Bio oder Wirtschaft zu Auswändiglernrobottern machte, gab es auch Lehrer, die enttäuschten. Ich weiss nicht genau, was ich erwartet habe aber trockener Frontalunterricht für Wirtschaft und Mathe oder eine Biolehrerin, die keine Frage beantworten kann, die auch nur einen Millimeter über den Lehrplan hinausgeht, ganz sicher nicht. UWC USA liegt nun mal irgendwo im nirgendwo und die perfekten Lehrer zu finden, die sich für mehr als ein Jahr in dieser Bubble wohl fühlen, gleichzeitig leidenschaftlich unterrichten und dazu viele Verantwortungen, die nichts mit der Schule zu tun haben, übernehmen und mit der vielen Arbeit umgehen können, ist sehr schwer.

Und die andere Seite davon…

Es gibt einen Kern von absolut genialen Lehrern. Hochinteressante Persönlichkeiten mit viel Wissen, die nicht wirklich Lehrer sondern ein fester Teil der Schülergemeinschaft sind. Doug, der Englischlehrer, der einfach weil es ihn interessierte einen Morgen lang mit mir und Anneli zum Klettern kam, als Freund, und neben seinen Klassen ein hochmotiviertes Rugbyteam trainiert. Ben, der Environmentalist der Schule, der jedes Jahr aufs Neue versucht die ganze Schule für die Farm zu begeistern und an Thanksgiving eine Gruppe Schüler zu Standing Rock mitnahm, um den Protestierenden Zelte und Feuerholz zu bringen. Colin, der seit 30 Jahren Kunst unterrichtet und es nicht müde wird der beste Kunstlehrer auf Erden zu sein. Katrin, die Deutschlehrerin, die sich mehr für meine mentale Gesundheit und für Pferdegeschichten als für einen guten Aufsatz interessierte. Einige von ihnen hatten einen grossen Einfluss auf meine Entwicklung. Sie waren Freunde, Inspiration, Gesprächspartner und Seelsorger.

Das Wunderrezept

Für mich war UWC nicht, was das Mission Satatement oder die Werbevideos versprachen. Es war etwas, was ich niemals in Bilder oder Worte fassen kann. Ich war eine der Glücklichen, für die UWC funktionierte. Der Stress des IBs hat mir am Ende nicht viel anhaben können. In das Klagelied der Depressiven einzustimmen war nie eine Option. Kein scheinbares Dinosaurierproblem konnte mich für lange Zeit aus der Bahn werfen. Ich habe es irgendwie herausgefunden. Es gab ein Wunderrezept aus guten Menschen, richtig eingesetztem Nein-sagen und viel Spontanität, das für mich funktionierte. Auch wenn es schwer auszuhaltende Zeiten gab, wollte ich nie wirklich nach Hause. Ich hatte immer das Gefühl am richtigen Ort zu sein. Was mir UWC gegeben hat und was ich gelernt habe war so viel mehr als ich mir jemals hätte wüschen können. Das war meine Erfahrung, die man auf keinen Fall verallgemeinern kann. Jeder UWC Alumni wird eine ganz andere Geschichte erzählen. Doch vielleicht gibt es doch ein allgemeines UWC-Naturgesetz: die Verantwortung für dein Glück trägst ganz allein du.

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Schneekugel

Veränderung.

Das ist so eine Sache. Seit ein paar Wochen wieder eingeschlossen in das Familienleben, suche ich fast verzweifelt nach Veränderungen. Es ist alles so frustrierend normal. Ich weiss doch, dass ich mich verändert habe. Ich fühlte mich anders am UWC. Irgendwie erwachsener. Ich war unabhängig. Habe meine eigenen Entscheidungen getroffen. Und jetzt? Bin ich wieder kleine Tochter Selina? Ich bin ein Luftballon ohne Luft. Ohne grosse Verantwortungen. Ohne die Energie, die davon kommt. Ich bin einfach. Einfach so im Moment.

2 Jahre weg sind nicht viel im Vergleich zu den fast 17 Jahren, die ich zu Hause bei meiner Familie lebte. Und doch gibt es Veränderungen. Sie sind nicht grossartig, revolutionär oder gar inkompatibel mit einem Familienleben. Es sind kleinen Dinge, versteckt im Alltagsleben.

Wenn meine Eltern mich fragend für die Übersetzung eines englischen Wortes anschauen. Wenn ich während dem Blogschreiben Google translate öffnen muss, um englische Worte in kurzfristig vergessenes Deutsch zu übersetzen. Dass ich Dänemark und Kanada auf meine Postkarten schreiben anstatt Schweiz. Das reflexartige Zusammenziehen meiner Augenbrauen wenn irgendjemand in meiner Nähe unbewusst (oder absichtlich) eine microrassistische Bemerkung fallen lässt. Wenn mein Blick ein Weilchen länger im dunkelblauen Himmel verweilt als früher. Meine spontane Offenheit gegenüber Fremden. Wenn Diskussionen mit meinen Eltern in einer Stille enden, die nicht mehr das komplette Einverständnis beider Seiten trägt.

Veränderungen. Es sind die noch unsichtbaren Samen, Ideen und Ideale, die auf nahrhaften Boden gefallen sind, deren Früchte ich aber erst später ernten werde. Allem voran Nachhaltigkeit. Die Idee von Nachhaltigkeit im Essen, der Gesundheit, Bildung, Gemeinschaft, Wohnen und Reisen. Eine Idee, die wächst und sich in den nächsten Jahren durch verschiedene kleine und grosse Umsetzungen entfalten wird.

Es sind die Dinge, die ich gelernt habe oder angefangen zu lernen. Schlummernde Veränderungen, stark in ihrer hintergründigen Präsenz. Umgeben von psychischen Krankheit zu leben, zu helfen und mich gleichzeitig abzugrenzen. Unter viel akademischem Stress zu funktionieren. Eine Balance zwischen social time und alone time zu finden. Mit anderen Menschen pausenlos auf engstem Raum zu leben. Konflikte anzusprechen. Und loszulassen. Menschen loslassen, vermeintliche Sicherheiten loslassen und Orte loslassen. Gehen lassen. Und sich neu orientieren. Bei mir selbst bleiben.

Wenn ich an den Moment zurück denke, als ich erfahren habe, dass mir ein Platz am UWC USA angeboten wurde, war meine Vorstellung davon nicht viel mehr als das Bild im Internet von einem roten Schloss mit wehenden Flaggen vor dem Eingang, umgeben von bewaldeten Hügeln irgendwo im nirgendwo. So falsch lag ich nicht. Doch nicht in meinen verrücktesten Träumen hätte ich mir vorstellen können, was mich auf diesem kleinen Campus in Montezuma erwartete.

Für zwei Jahre fest integriert in einer kleinen Gemeinschaft von etwa 300 Schülern, Lehrer, Staff und Familien, die sehr isoliert auf engem Raum wohnen, zu leben war eine Herausforderung auf vielen Ebenen. Die Dynamik, die sich entwickelt, ist einzigartig und faszinierend aber auch sehr intensiv. (Ich glaube ich habe schon einmal über diese Metapher geschrieben aber ich werde es noch einmal machen weil nichts anderes es so gut verbildlicht.) Manchmal fühlte es sich an als ob der Campus in einer Schneekugel existierte. Eine Microwelt eingeschlossen in einer Glaskugel, unglaublich faszinierend von aussen anzuschauen. Doch diese kleinen Bubble, die die ausgestrahlte Energie des Aufeinandertreffen von über 70 Nationalitäten, Kulturen, Sprachen und Geschichten von 300 Menschen einschliesst und reflektiert statt entweichen zu lassen, kann sich schnell in einen brodelnden Hexenkessel verwandeln. Es ist eine Suppe der Verwirrungen, Konflikten, überlaufenden Gefühlen und ständiger Veränderung. Mein erstes Jahr war nicht einfach. Es war schwer Wurzeln zu schlagen und Stabilität zu finden. Es war schwer, zu akzeptieren, dass ich mich am Anfang in Englisch nicht so ausdrücken konnte, wie ich es in Deutsch gewohnt war. Es war schwer, mich als introvertiert und still zu akzeptieren und eine Nische zu finden, in der ich mich wohl fühlte. Die Konfrontation mit meinem behütet, beschützt und konstant unterstützt und bestätigt aufgewachsenen Selbst, weit weg von zu Hause und einer Familie, die Geborgenheit und Trost spendet, war unangenehm. Ich war zum ersten Mal ganz auf mich alleine gestellt und es hat ein Weilchen gedauert, bis ich meine Felsen im Sturm gefunden habe. Von Zeit zu Zeit der Schneekugel zu entweichen hat immer geholfen. Als ich die Nachbarn des Campus in Montezuma und ihre Freunde kennengelernt habe, erklärten sich viele davon selbst zu meinen Gastfamilien und es gab immer irgendwo eine offene Tür in Montezuma, Santa Fe oder sogar Albuquerque. Je mehr und weiter ich meine Fühler aus der UWC-Bubble in das unbekannte New Mexico hineinstreckte, desto wohler und ausgeglichener fühlte ich mich zurück auf dem Campus. Auch die Hot Springs, die drei Minuten von der Schule entfernt lagen, waren ein Ort der Erholung und ein Ort, um neue Freundschafen zu knüpfen oder einfach nur eine Nacht lang mit Nicht-UWC-Menschen in eine Diskussion über Aliens oder Träume zu versinken.

Mein allergrösster Felsen im Sturm war jedoch die Wildnis. Ich hatte keine Ahnung von der Magie der Natur dieses Landes. Angefangen mit der ersten drei-tägigen Wanderung geleitet von second years während Orientation, habe ich insgesamt 38 Tage auf verschiedenen backpacking trips in der Wildnis verbracht und dabei etwas gefunden, das mich für mein ganzes Leben begleiten wird.

Vielleicht beschreiben die zwei Zitate von Terry Tempest Williams, die in der Wildnis zu meiner eigenen Philosophie geworden sind, am besten, was ich umgeben von rotem Sandstein, der ungetrübten Milchstrasse und klaren Bergseen gelernt habe:

“At the heart of my emerging voice was the belief that nature held the secret to harmony and unity, not just outside us, but inside us, no separation”.

Und:

“To be numb to the world is another form of suicide”.

Es war nicht auf dem Campus, sondern in einer kleinen Gruppe Schülern, die mit schweren Rucksäcken durch hüfttiefen Schnee stapften oder mit rationiertem Wasser in der erbarmungslosen Hitze der Wüstensonne wanderten, wo ich UWC in seiner kräftigsten und klarsten Form erlebt habe. Meine Ausbildung als “wilderness leader“, hat mir nicht nur alle technischen Fähigkeiten zum Überleben in der Wildnis gegeben, wie Karten lesen, erste Hilfe, kochen und Camp aufbauen, sondern ich habe in langen Diskussionen und Gesprächen während den Wanderungen auch über die Geschichte und Kulturen in den unterschiedlichsten Ecken der Welt gelernt.

Eine Gruppe zu führen ist kein natürliches Talent von mir. Doch die verschiedenen Trips haben mich immer wieder in eine leitende Rolle geworfen, sodass ich gar nicht anders konnte als mich der Herausforderung zu stellen. Ich habe meinen Weg durch das Rätsel das “Leadership“ für mich war gefunden und angefangen die Verantwortung, die ich trug, zu geniessen.

Meine Erfahrung in der Wildnis hat mir unzählige kleine verborgene Türen zu mir selbst aber auch zu einem ganz neuen Verständnis der Welt geöffnet. Abgeschnitten von facebook und befreit vom Stress des IB habe ich die wenigen Menschen in meiner Gruppe auf eine direkte und unverfälschte Art kennengelernt. Ich hatte die Zeit und Energie, einen anderen Menschen wirklich zu verstehen zu versuchen. Dabei haben sich wundervolle Freundschaften entwickelt, über deren Existenz ich auf dem Campus nur eine verzogene Grimasse geschnitten und den Kopf geschüttelt hätte. Die Wildnis hat mich für kurze Zeit zu einer besseren Version von mir selbst werden lassen, zu der ich in der Zivilisation unter vielen Menschen und der unglaublichen Geschwindigkeit des Lebens nur sehr selten Zugang finde.

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Abgesehen von den Projektwochen, Exkursionen und Wilderness trips, habe ich natürlich die meiste Zeit auf dem Campus verbracht. Ich glaube wirklich angekommen bin ich erst in meinem zweiten Jahr. Doch jede verzweifelte Träne und jeden Kampf mit mir selbst hat sich gelohnt. Ich habe meine Balance gefunden und Wurzeln geschlagen. Ich blühte auf. Ich schwebte in den Hochs, kämpfte mich mehr oder weniger erfolgreich durch das IB und auch die tiefsten Tiefs waren nicht mehr ganz so schlimm. Kein Alltag aber ein gewisser Rhythmus hat angefangen den Wochen eine Struktur zu geben. Ich hatte ein Auffangnetz für alle möglichen emotionalen Notfälle und Probleme, meine wichtigsten Freunde, meine Familie. Es gab immer noch viele Momente, in denen ich mich nicht wohl fühlte aber ich hatte blindes Vertrauen in die Veränderung und dass sie die Dinge zum Besseren wenden würde.

Klettern, Kunst und Gartenarbeit wurden zu einer Therapie, die alle Frustration in ein Lächeln auflösen konnte und Energie und Motivation zurückgaben.

Der Kunstraum war schon in meinem ersten Jahr mein zweites Zimmer. Ein Ort der Inspiration. Meine Kunstklassen waren eine Reise durch das Land der unlimitierten Fantasie und Kreativität. Genau, was Kunstklassen sein sollten. Wir Kunstschüler wurden freigelassen aus den eingezäunten Bereichen, in denen wir uns in anderen Fächern wie eine Herde Schafe bewegten und die Wiese systematisch abzugrasen hatten. Wisse in uns hineinstopften. Und wieder vergassen. In den Kunstklassen gab es keinen Zaun. Allein oder in kleinen Gruppen mit ähnlichen Interessen zogen wir los und entdeckten die Welt der Farben, Formen, Skulpturen und Materialien. So manche von uns strandeten in scheinbar ausweglosen Ideenlöcher. Andere verloren sich wochenlang im Ozean der Details, kaum imstande wieder aufzutauchen. Wir öffneten uns gegenseitig die Türen zu neuen Techniken und Ideen. Wir inspirierten und kritisierten einander. Wir arbeiteten kollaborativ. Lange war ich auf rastloser Wanderschaft von der einen Technik zur nächsten. Erst in der Hälfte meines zweiten Jahres fand ich einen Ort zum Bleiben. Ich experimentierte mit Tinte und Bleichmittel auf nassem Papier und perfektionierte meine Technik auf dem schmalen Grat zwischen absoluter Kontrolle und Zufall. Daneben entwickelte sich aus einem anderen Zufall eine Faszination für brennende Dinge. Ich und Anna fingen an, zusammen Skulpturen aus Holz und Pinienzapfen zu bauen, die wir in Flammen aufgehen liessen.

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Wie der Kunstraum war auch die Schulfarm ein Ort wo Dinge erschaffen wurden, wenn auch in einer ganz anderen Form. Im grossen Gewächshaus, dem “high tunnel“ wuchsen Salat, Tomaten, Kräuter, Spinat, Karotten und vieles mehr für die Küche im Castle. Die Aussenbeete waren gefüllt mit wissenschaftlichen Pflanzenexperimenten von Schülern. Vom ersten bis zum letzten Tag blieb ich der Farm treu, sah wie im Sommer die Sonnenblumen alles überwucherten und Tomaten saftig und schwer von ihren Kletterstängeln hingen, wie im Herbst die Äpfel reif wurden und von vielen fleissigen Händen in literweise frischen Apfelsaft verwandelt wurden, wie im Winter der Spinat Frost und Schnee trotzte und wie im Frühling die ersten warmen Sonnenstrahlen den Boden wärmten und frisches Grün sich durch die Erde kämpfte. Im zweiten Jahr hatte ich mein eigenes Projekt, ein Kräutergraten für einheimische Heilkräuter, für den ich die Struktur plante und die Samen für die Kräuter von umliegenden Gärtnern und Herbalisten zusammensuchte. Die unzähligen Morgenstunden, die ich am Wochenende damit verbrachte Spinnat zu ernten, Erde umzugraben, Karotten anzusähen, Radischen zu essen, im Gras zu liegen und die Sonne zu geniessen, waren mein Heiligtum. Es waren Stunden der Ruhe und Denkerholung. Ich genoss die körperliche Arbeit und spazierte auf den Campus zurück, wenn sich alle andern langsam aus ihren Betten rollten und verschlafen im Pyjama die Treppen zum Castle für ein paar Pancakes und Hashbrowns hochkletterten.

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Klettern ist wie eine Krankheit, die ich irgendwie schon lange in mir trug, die aber erst in meinem zweiten Jahr am UWC richtig ausbrechen konnte. Wie aus dem Nichts entstand eine Gruppe Schüler, die kaum zu bremsen waren, angefeuert und unterstützt von Andrew, unserem Klettercoach. Neben der kleinen Indoorkletterwand entdeckten wir eine halbe Stunde vom Campus entfernt im Wald eine Felslandschaft, die perfekt zum Bouldern (klettern auf kleineren Felsen ohne Seil) waren. Wir brachen die Schlösser zur Ausrüstung auf, um nach der Schule klettern zu können, schlüpften durch alle Lücken des Kletterregelbuches, dessen Nachführung zu unserem Glück viel zu langsam war und verbrachten die Stunden, in denen wir eigentlich für einen Mathetest lernen sollten, damit neue Kletterrouten und Probleme an unseren Boulderfelsen zu finden und ihnen Namen zu geben. Fürs Klettern konnte alles andere warten –stundenlang. Ein Teil dieser Klettergruppe zu sein, angesteckt von der weiss UWC-Gott woherkommenden Energie und Begeisterung war eine Erfahrung, die sich tief eingebrannt hat und mir Klettern als eine neue Leidenschaft schenkte, die mich ganz sicher in den nächsten Jahren auf Schritt und Tritt begleiten wird.

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Fortsetzung in nächstem Blog

Zeitreise

Meine lieben Blogleser

Für das erste und letzte Mal fehlen mir die Worte. Der kreative Wildbach in meinem Kopf hat sich zurückgezogen und in einem kaum zugänglichen Teil meines Gehirns verschanzt. Vielleicht fürchtet er, die Erinnerung zu verlieren.

In den viel zu heissen Nachmittagsstunden auf einem Campingplatz am Lake Powell in Utah öffne ich zum ersten Mal meinen Computer. Der letzte tränenverschleierte Blick auf das rote Schloss liegt nun schon drei Wochen zurück, doch meine Gedanken haben sich kaum geordnet, werden es vielleicht nie tun. Vorsichtig gehe ich zurück in der Zeit, springe von Felsen zu Felsen, die aus dem Meer der Emotionen ragen. Mit einem Sicherheitsabstand bleibe ich auf den Klippen sitzen, spähe in das Chaos, beobachte. Die Schaumkronen der höchsten Wellen streifen mich. Vollkommen subjektiv wird auch dieser Bericht nicht werden, im Gegenteil…

Ich blättere durch die Seiten meines Journals, zurück in die Wochen vor Graduation.

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We get lost starring into the river reflections of the willow tree. Lost in an afternoon between exam stress, humming birds and the aftertaste of mango on our tongues. Where am I? In transition, sitting on the peak of a perfect mountain, in constant transition of climbing and descending. In the moment of creation, youth, in observation and silent absorption. Building a home inside of me, a place to stay in difficult times, times to come.

 

  1. April

Zurück am Rim in der Abensonne. Zurück im roten Sandstein. Zwischen den Krähen im Wind. Der Stille der Wüste. Carlies atmender Rücken zusammengerollt an meine Beine gelehnt. Atem. Nur Atem und die Restwärme des Frühlingtages.

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  1. April

Linie

Linie, der Kondensstreifen eines Flugzeugs am dunkelblauen Himmel.

Das fragile Werk menschlicher Kultur, Normen, die durch zusammengebissene Zähne und einen scharfen Seitenblick, manchmal auch unsichtbar und wie ein scharfes Messer, das innerlich zerschneidet, von der einen zur nächsten Generation gegeben werden.

Und wer es nicht versteht, wird spätestens in der Schule auf die Nase fallen und den Asphalt mit einer Linie aus gefallenen Bluttropfen dekorieren.

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Ein Gitter weisser Kondensstreifen am Himmel. Was kümmern sich die Sterne darum?

Meine Hand überquert die Linie.

Ein unerwidertes Lächeln, ein Atemzug, ein spitzer Stein, der ins Rückgrat drückt.

Wie werde ich mich erklären können?

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  1. Mai

Es gibt eine Parallele zum Normalen. Wir haben sie gerade gefunden. Langsame Schritte durch die dinning hall. Zeitlupentempo. Ein Schritt und ein nächster. Eine Melone und eine andere. Die orange Süsse entfaltet sich. Der Weg zurück zu unserem Platz. Langsam. Die Welt ist wunderschön und Zeit ist so relativ. Wir leben nur viel zu schnell, um zu sehen. Es gibt nur voran, schneller, schneller, schneller. Wir sind gefangen, haben uns selbst gefangen. Was machen wir hier? Stunde um Stunde an diesem Tisch neben dem Fenster? Köpfe vollstopfen. Unnütz? Was ist nütz? Was spielt es für eine Rolle? Eine? Keine? Eine. Keine. Keine. Eine. Ein. K. Ne. e.

10, 11, 12, 13 Jahre Schule, Noten, Druck, Stress, Wettbewerb. Wieso machen wir uns so sehr weh? Würgen, bis die Kinder kaum mehr atmen können, mit zu wenig Sauerstoff aufwachsen. Hassen zu lernen. Lernen zu hassen. Statt zu schreien, rollt eine einzelne einsame Träne der Verzweiflung über dein Gesicht und ich finde keine Worte zum Trost.

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  1. Mai

My bare feet touching the wet pine needle ground. It is soft and cool. I smell rain and feel the briskness of the air. Conflicting feelings about leaving and wanting to stay tear my body apart. Su Lynn takes my hand. “Once there were two little goats living by the sea. They were playing all day long at the beach and one day they found an elephant tooth washed ashore by the waves of the last storm…” And so we disappear in the magical land of the two little goats, far away from pain and time, wandering on the trails behind the castle.

  1. Mai (a collection of different voices from the very last tweed session)

Walking through my door. Hundreds of times a day. Putting things here and there. Putting them away. Into my suitcase. Material, my belongings wander through my hands. And soon I can’t feel them anymore. My hands become numb. Together with my heart.

There is something about leaving that makes me so painfully aware of the importance and significance of all these small daily life gestures. Something that makes me hesitate before smiling back at my friend, that makes me wait a couple of seconds before answering to the knocks on my door. It’s the feeling of having to start to give up some of these small but infinitely meaningful parts of my life here, because soon, those are the ones I’m gonna have to live without.

How will it be not having my friends live next door or just down the stairs? I savor the twenty seconds that I need to jump down, feel the carpet underneath my feet and knock on the door, like so often. How can I eat without first looking for the craziest table which will have the most interesting talks, or the quiet one where I can hang around my thoughts in company? I savor the moment that I take to scan the dining hall, catching phrases of conversations, looking into familiar faces.

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Und dann, am 20. Mai, bin ich lächelnd und barfuss das Graduation Podium hochgestiegen. Habe Codou umarmt. Habe das dunkelblaue UWC Diplom in Empfang genommen. Bin gegraduated!

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Der Endpunkt von 2 turbulenten Jahren. Zeit, sich darüber ein paar Gedanken zu machen.

E pra valer mantra

und gerade wenn die Gewissheit
sich einschleicht
zerbricht
eine weitere Schicht
Geborgenheit

Es ist schwer zu mögen, was einen verwirrt und
Stück für Stück den Boden unter den Füssen wegzieht
Doch es ist einfach
zu lieben

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Ein Gespräch über Emotion in den knisternden Piniennadeln, zwischen von der Wüstensonne verbrannten Schultern, am Fels aufgeschürften Fingern, roten Wangen, erhitzten Köpfen, auf dem Rückweg vom Samstagsnachmittagklettern, hat sich in meinem Kopf eingenistet. „Gemeinschaften von Menschen würden besser funktionieren ohne die Ablenkung von Emotion.“ Unsere Köpfe schnellten herum zu Andrew, um seine Aussage augenblicklich mit unserem jungfräulich idealistischen Verständnis der Welt zu steinigen.  „ABER Emotion ist doch genau das, an dem wir wachsen. Wie können wir als eine Gemeinschaft stark und effizient sein, ohne genau das durch Emotion gelernt zu haben? Man kann gar nicht reif werden, ohne sich zuerst mit der Kontrolle über Emotion auseinandergesetzt zu haben. Und was ist mit Glück? Liebe? Trauer? Was ist das Leben ohne die Landschaft von Emotionen und Gefühle, die es so interessant macht? Es gibt doch gar keinen anderen Sinn sonst!“ Andrews antwortendes Grinsen ist doppelt so alt wie wir und es trägt die ganze erfrischende Unschuld und Erfahrung eines Nicht-UWC Menschen mit sich. „Ich sag ja nur…“

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Ich habe den Boden unter den Füssen verloren und schwebe in einem turbulenten Hoch. Meine Welt besteht aus den Konzentraten von Emotion. Diese Tage sind ein einziges grosses Deja-vu von letztem Jahr, nur dass es in seiner Stärke verdoppelt wurde.

Es fällt mir schwer über Passiertes nachzudenken oder in die Zukunft zu schauen. Ich bin umschlungen vom Jetzt.

Es ist die Zeit des E pra valer-mantras. Make it to be worth it. Mach etwas Bedeutendes aus der verbleiben Zeit. It is the beginning of the end. Und der Beginn von etwas Neuem.

Ich weiss nicht, ob ich in der Lage sein werde vor Graduation noch einmal zu schreiben. Doch ich werde mich ganz bestimmt danach melden, mit etwas mehr Distanz, die hoffentlich eine kritische und ehrliche Reflexion über meine Erfahrung hier erlauben wird.

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Getauft vom Feuer und Wasser

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Meine diesjährige Frühlingsprojektwoche war eine 5 tägige Wanderung durch den Coyote Gulch Canyon in Utah. Unsere Gruppe bestand aus 10 second year Wilderness Leaders und zwei Instructors. Die Woche war eine Fortsetzung des Wilderness Trainings und zum ersten Mal haben wir Schüler unseren Trip mit fast absoluter Freiheit alleine gestaltet und geleitet. Die beiden Instructors waren eigentlich nur als Notbremse und Lebensretter oder für inspirierende Nachtdiskussionen da. Mit der Freiheit, selbst entscheiden zu können wie was funktionieren soll, haben wir auch viel Verantwortung und Vertrauen bekommen. Es war ein gutes Gefühl, dass uns Erwachsene für einmal einfach machen liessen weil wir vollständig im Stande waren, das Risiko einzuschätzen und gute Entscheidungen zu treffen. Dieser Trip war, auf was wir alle seit einem Jahr hingearbeitet haben. Viele reife Früchte konnten von dem UWC-Baum geerntet und genüsslich verzehrt werden. Es war eine körperliche und mentale Reise durch eine gefährliche und gleichzeitig umarmende Landschaft. Eine Reise durch das unerschöpflich schlagende Herz des UWC USA.

Über die Wüste

„Noon is the crucial hour: the desert reveals itself nakedly and cruelly, with no meaning but its own existence.“ -Edward Abbey

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Die Luft über dem roten Sand flackert in der Mittagshitze. Die Wüste zerrt an meiner Haut. Meine Zellen versuchen verzweifelt sich zu verschliessen. Jeder Tropfen Wasser ist wertvoll. Ich werde ausgesaugt und zurückgelassen als ein winzig kleines Lebewesen in einer endlosen Ebene umarmt von Todesstille.

Die Wüste beherbergt nur hoch angepasstes Leben. Sie ist bedrohlich und gross. Ihre Leere ist voller versteckten Gefahren. Wer nicht weiss wie sich zu schützen, ist verloren.

Im Vorbeigehen sehe ich eine kleine violette Blume. Mir ist schwindlig von der Hitze. Wenig später tauchen weitere Blümchen in den Ritzen des roten Gesteins auf. Ein Bild aus der Fantasie meiner Kindheit, das entstand als Mama mir die Unendliche Geschichte vorgelesen hat, taucht vor meinen Augen auf. Wüstenblumen in allen vorstellbaren Formen und Farben. Einbildung und Wirklichkeit verschmelzen für einen kurzen Moment im Delirium der Hitze.

In der letzte Nacht sitze ich mit Laine unter dem Sternenhimmel. Die kalte Luft von weit oben ist auf den heissen Sand gesunken. Die Wüste ist in das Licht des aufgehenden Mondes getaucht und erstreckt sich meilenweit vor uns. Ein wellenartiges Hügelland aus Sand und Stein, Licht und Schatten.

„Die Wüste verwirrt mich.“

„Da sind so viele Gegensätze. Es ist eine immense Kraft, die sie in sich trägt, die zugleich anzieht und abstosst.“

„Stell dir vor, du lernst die Wüste kennen. Ich meine richtig gut. Ich glaube
kaum eine andere Landschaft erlaubt eine so intime Beziehung.“

„Es ist ein bisschen wie den Körper eines anderen Menschen blind zu kennen.“

„Aber Freundschaft mit der Wüste zu schliessen braucht Zeit.“

„Viel Zeit. Und Geduld.“

 

Über die Menschen -Geschwister und Solo

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Viele Male habe ich nun den Prozess der Gruppenbildung in der Wildnis erlebt. Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe Jugendlicher trifft sich, tastet sich aneinander heran, diskutiert, kritisiert, akzeptiert und versteht sich am Ende auf die eine oder andere Weise. Bald findet jeder seinen Platz und seine Rolle in der Gruppe. Wir werden ein Wolfsrudel. Wir sind eine Familie, Brüder und Schwestern, die aufeinander aufpassen, streiten und vergeben, ineinander gekuschelt schlafen, zusammen lachen und weinen. Wir second year Wilderness Leader sind Hand in Hand durch unsere Ausbildung gegangen. Jeder teilt eine spezielle Erinnerung mit jemand anderem. Diesmal hat sich die Gruppe schneller als je zuvor gefunden. In Krisensituationen während dem Wandern oder in den Abendtreffen wurde niemand verschont. Ehrliche und ernste Worte, Geständnisse und Lösungen für Probleme wurden ausgetauscht und gefunden und hinterliessen ein Gefühl von Stolz. Wir sind die wacklige Strickleiter hochgeklettert, stehen am Ende unserer Ausbildung und haben tatsächlich etwas erreicht. Jeder für sich selber und alle zusammen, so kitschig es auch klingen mag.

Ein 24-Stunden Solo am zweiten Tag brachte Kontrast in das Gruppenleben. Jedem wurde ein eigenes kleines Revier in einem 2-Meilen Abschnitt des Canyons zugeteilt und da verbrachten wir einen Tag und eine Nacht für uns alleine ohne jeglichen Kontakt zueinander. Stunde für Stunde leerte sich mein Kopf. Mit jedem Atemzug löste sich die über Wochen angesammelte Spannung in meinem Körper. Ich bin in eine herrliche meditative Trägheit und Entspannung gesunken, die nur von Zeit zu Zeit durch die Echos unsichtbarer Wanderer unterbrochen wurde.

Ich bin ein Mensch
Ich bin ein Stein
Ich bin eine Eidechse
Ich bin keines davon
Ich lebe in einem Zwischenraum
Ich bin
Ich bin nicht mehr als das vorbeiziehende Echo
Ich sehe meine Schatten über den roten Felsen wandern
Ich rieche heissen Sand
Ich warte
Echos
sie verletzen die Stille
Menschenstimmen
sie gehören nicht
Ich gehöre nicht
Hör auf
Bitte
Hört auf
laut zu sein

 

Feuer und Wasser

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Wüste und Wasser
Heiss und Kalt
Statisch und Fliessend

Ich  liege mit ausgebreiteten Armen auf dem nassen orangen Sand. Seichtes kaltes Wasser umfliesst meinen Körper. Durch die geschlossenen Augenlieder kann ich das gleissende Sonnenlicht sehen. Es ist heiss. Alles glüht. Auf der anderen Hälfte meines Körpers kühlt das eiskalte Wasser das aufgeheizte Blut in meinen Adern. Unsere Fingerspitzen sind in den Sand gegraben und unser Lachen hallt von dem Sandsteinbogen hoch über unseren Köpfen wieder.

Heat
Cold
Life
Death
That’s it

Es ist schwer sich der Kraft der Elemente zu entziehen, wenn sie eine so starke Präsenz haben. Gegensätze, die alles bestimmen, auf die man sich verlassen kann. Unser ganzes Leben richtete sich für eine Woche nach dem Feuer und dem Wasser aber auch nach der Luft und der Erde. Es ist so unglaublich einfach, dieses Leben.

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Thank you Laine & Fiona for some of the great pictures!

 

Nach Hause kommen

Der Wechsel von einem Schlafsack unter dem Sternenhimmel in ein geschlossenes Zimmer ist immer ein bisschen schwerer als anders herum. Mit einem Wildernesskater spaziere ich am Samstagmorgen früh zum post office. Der Campus ist noch still. Wir sind unter den Ersten, die zurück gekommen sind. An der kleinen Holzbrücke treffe ich Adrian, der auf die Farm aufpasst. Wir reden über Spinat, Utah und die Kletterprojektwoche, die er begleitet hat. Auf dem Weg zurück zur Schule ruft jemand „Hallooo Selina!“. Meine „hide-aways“, Freunde aus Montezuma, winken von ihrer Veranda und ich verspreche bald zum Kaffee vorbei zu kommen und von meinem Erlebten zu erzählen. Zum Campus zurück zu kommen ist wirklich zu einem „nach Hause kommen“ geworden.

Die Projektwoche markierte einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zur Graduation und nun haben wir auch den schon überschritten. Die Zielgerade liegt nun plötzlich sehr klar und provozierend vor mit. Doch es gibt noch so viel zu tun: die Kunstausstellung, Expressions, Ostern, Lagerfeuer, Kletternachmittage und endloses Lernen auf die Finals…

Inmitten

Inmitten unserer Bubble leben wir vor uns hin.
Inmitten gleichgesinnten Idealisten.
Im Nirgendwo, zwischen den Bäumen, an einem einsamen Highway,
in dem roten Schloss auf dem Hügel.
Wir diskutieren, machen komische Grimassen und von Zeit zu Zeit schreien wir
in den Wald hinaus,
wo ein Vogel erschreckt davon flattert.

Wir leben vor uns hin, während das Land, in dem wir leben von einer unwirklichen Macht in die Hand genommen wurde. Meinungen polarisieren sich und reissen einen immer tiefer werdenden Abgrund in die Vereinigten Staaten von Amerika. Jeden Tag steigert sich die Messlatte für schlechte Nachrichten, auch wenn man das Stunden zuvor noch für unmöglich gehalten hat. Wie viel kann dieses kleine blonde Rumpelstilzchen denn noch anstellen mit seinem Kugelschreiber wie ein Kampfschwert in der Hand? Wohin wird das führen? War das eine erste Explosion und dann wird sich alles beruhigen oder war das erst der Anfang? Was können wir tun? Kann UWC irgendetwas tun? Wird sich die Geschichte wiederholen? Kehrtwende? Faschist? Krieg??

Wir leben in einem Fragezeichensalat gewürzt mit Wut und Angst.

Eine Ebene tiefer, in mir drin, mein eigener Fragezeichensalat. Still bleiben? Habe ich das Recht etwas zu sagen? Etwas zu kritisieren in einem Gastland? Ist es meine Verantwortung etwas zu sagen? Was macht meine Stimme in diesem Aufschrei aus? Weiss ich genug, um überhaupt irgendwas sagen zu können? Fragen weben ihr klebriges Netz, hindern mich Antworten zu finden.

Und während meine Gedanken immer lauter werden, bleibt meine Stimme still.

 

Inmitten diesem politischen Weltdrama, das uns in seiner Kraft nur mit den äussersten Fingerspitzen berührt, leben wir dahin.

Die Tage und Wochen ziehen wie Wolken über den Himmel. Zeit existiert mal mehr, mal weniger. Unter einem mondlosen Himmel sitze ich mit einer Freundin auf den Stufen zur kleinen Kapelle im Wald. Unsere Worte bilden ein Schutzschild gegen die Winterkälte. Geflüsterte Worte, die sich im Sternbild des Oreon über uns, in den Tiefen einer komplexen Freundschaft und unendlichen Fragezeichen verfangen, im Rhythmus des Windes lauter und leiser werden und sich im warmen Atem des anderen auflösen.

„Conversation is the vehicle for change. We test our ideas. We hear our own voice in concert with another. And inside those pauses of listening, we approach new territories of thought. Words fly out of our mouths like threatened birds. Once released, they may never return. If they do, they have chosen a home and the bird-words are calmed into an ars poetica.“ -Terry Tempest Williams

Annual Conference. In den letzten Tag hat sich der Campus in verrückt gewordenes etwas verwandelt, das kaum zu kontrollieren ist. Es kommt mir vor, als sind noch viel mehr Gäste da als im letzten Jahr. Lange Reden, in denen mit vielen wichtigtuerischen Wörtern um sich geworfen wird: JUSTICE, TOLERANCE, INTERNATIONAL, UNDERSTANDING, FUTURE, HOPE, ENVIRONMENT, MULTICULTURAL, PROBLEM, RESOURCES, VALUES, TOGETHER, COUNTRY, DEMOCRACY, was will man mehr? Workshops, Dokumentarfilme und Diskussionen, alles dreht sich um das Thema „Justice in an urgent era“. Naja, vielleicht fast alles. Auf jeden Fall bin ich, etwas verwirrt von den vielen Leuten, in einem Workshop gelandet, der anscheinend nur für Lehrer gedacht war. Ich habe gefragt, ob ich trotzdem bleiben kann und habe für zwei Stunden den Klagelieder über das Lehrerleben zugehört. Man lernt immer etwas… Mein Gespräch mit den Referenten danach dreht sich um das UWC Wilderness Program und endet mit einem Austausch von Email Adressen, um einen Kletterwettkampf zwischen UWC und Schülern der Destert Academy in Santa Fe zu organisieren. Was genau das mit Justice zu tun hat, weiss keiner so genau. Aber warum denn nicht?

Ein Moment für mich. Unter den ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres, die meine Oberarme verbrennen, bearbeite ich die trockene Erde mit einem Spaten. Ein Samstagmittag auf der Farm. Mein Projekt ist es, ein kleiner Kräutergarten anzulegen mit vielen einheimischen Pflanzen und Heilkräutern. Mein Beitrag zu einem gesünderen und bewussteren Umgang mit dem eigenen Körper hier auf dem Campus, eine Bewegung gegen eine Kultur, die sich mit Chemie vollstopft, um zu funktionieren.

Ein Mittwochabend im Homeless Shelter von Las Vegas. In diesen Wochen kommen immer viele Leute. Es ist zu kalt in den Nacht. Wir helfen das Essen und heissen Kaffee zu verteilen und setzen uns an den Tisch zusammen mit zwei jungen Männern. Hannah hat Würfel mitgebracht und wir spielen Yatzy. Nach der ersten Runde können wir mehr Leute zum Mitspielen begeistern. Das zweite Spiel ist zu ende und aus dem Nichts fängt einer der jüngeren Männer an, mir seine Geschichte zu erzählen. Worte kommen wie ein Wasserfall aus seinem Mund, ergiessen sich über mir, machen mein Herz schwer. So viel Ungerechtigkeit in diesem System. Was weiss ich denn schon über Hunger, über pures Überleben in einer Januarnacht und Krankheiten, für deren Behandlung es kein Geld gibt. Was soll ich antworten? Wohl wissend, dass meine Worte kaum Trost und schon gar keine Hilfe spenden werden, probiere ich es vorsichtig trotzdem.

„I believe my own voice continues to be found wherever I am being present and responding from my heart, moment by moment. My voice is born repeately in the fields of uncertainty.“ -Terry Tempest Williams

Inmitten von all dem rückt ein Ende Tag für Tag näher. Ich möchte nicht darüber nachdenken, nicht schreiben, nicht einmal träumen.

Vor zwei Wochen besuchte eine von meinen Second years den Campus. Mit ihr zusammen kamen alle Erinnerungen von letztem Jahr zurück. So klar, schmerzhaft, emotional und überwältigend. Eine grosse Schwester ist zurück gekommen. So lange hat mich niemand mehr in den Armen gehalten, der den Weg vor mir gegangen ist, weiss, dass alles gut wird.

„When I left UWC, there was a big hole in my heart because I never loved so deeply in my life before. It hurt a lot. But then I figured out that new people filled everything that was empty again. Once you learned how to love, everytime there are new people, your heart will open again and let them in. When people leave the hole streches and that hurts but it is going to be ok.

I promise.“

 

 

 

 

WinterWortExperimente

2. Dezember     Die Schneeflocken haben heute Nachmittag angefangen den Campus zuzudecken. Eine dünne, weisse Pulverschicht rundet Ecken und Kannten. Hysterisches Lachen hallt vom Hallway durch die Zimmertür. Eine herumgeworfene Orange liegt zerschmettert auf dem rotbrauenen Teppichboden. Meinem Gehirn fällt es schwer einen Gedanken zu produzieren. Mein Körper presst sich an die schnaufende Heizung, rollt sich ein, dreht sich um. Schon wieder ist eine Unterrichtsstunde ganz ohne mich zu Ende gegangen. Gibt es freien Willen überhaupt? Es hat aufgehört zu schneien. Morgen wird ein blauer Himmel mich und all die gefrorenen Wasserkristalle wieder verschlucken. Einzig die Schattensilhouette des Juniperbusches neben dem Castle bliebt weiss. Es gibt noch ein paar wenige Schularbeiten. Zu wenig, um sich aufzuraffen und sich richtig darum zu kümmern. Zwischen hustenden Lehrern und schlafenden Schülern schleicht die Zeit dahin. Müde, müde, alle sind müde. Von Zeit zu Zeit findet sich ein kleines Restchen Energie und Hannah befreit ihre Mandoline aus dem Haufen von Schulbüchern und herumfliegenden Chemieaufgaben. Der erste falsche Ton lockt mich aus meiner Höhle hervor und wir starren durchs Fenster hinunter aufs Feld wo ein paar Schüler in der kalten Abenddämmerung herumrennen. Warten auf die Ferien. Schwimmen in einer Zeit, die sich anfühlt wie klebriger kochender Karamel, der Blasen aufwirft, die sofort wieder in sich zusammenfallen.

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7. Dezember

Es ist spät geworden
Im Jahr
Eis umschliesst das Gras nun den ganzen Tag
Wenn die Hände Fäuste bilden
Um das bisschen Wärme zu behalten

Ich finde es
Für mich ist es echt ok
Wenn du gerade keine Zeit hast

Sag mir
Ich weiss nicht wie viel von
Dir nur noch in meinem Kopf existiert

Vollgestopfte Wandschränke
Worte
Die man nicht öffnen darf
Geschluckt
Halb verdaut

Es ist spät geworden
Am Abend
Zu spät
Um noch einmal nachzuschauen
Und noch einmal dasselbe zu finden

Hinter meinen Fingern
Wachsen Eisblumen am Fenster
Filigrane Spitzen die sich nur
Ganz leicht berühren

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15. Dezember     „Roomie, this is the last time I’m leaving Campus and I’m coming back!“    Die Stille der einen Minute, in der ich am Boden sitze, umrundet von halb geflickten Kleidern, einer Zahnbürste, einem Briefumschlag, zwei Keksen, einem Teebeutel und einem leeren Rucksack. Die Stille hämmert ihre Nägel in meine Haut. Ich kann kaum. Kopfschmerzen vom Herumrennen. Vom Wind, der wie Wasser durch die schlecht isolierten Fensterritzen fliesst und das Zimmer flutet. Ich kann nicht, will doch. Stop! Ordne dich. Was ist es denn, vor dem du dich versteckst? Warum ist diese Stille so unangenehm? Meine Finger streichen über die zusammengekrampften Zehen, immer und immer wieder. Mein Oberkörper wiegt hin und her, hin und her. Ich weiss jetzt, ich weiss, ich kann. Trösten, mich selber und andere. Aber was ist es dann? Das lachende runde Gesicht, ein Weinglas, Füsse, die kaum den Boden berühren weil sie immerzu hüpfen, das Wort Buddy, geflüstert, gelachen, geschrien? Fetzen von purem Glück, die an mir kleben, mich reich machen, mich schützen. Vor der Welt, vor mir selbst. Die Zeit verlangsamt sich, tickt, verschwindet. Was bleibt in dieser erdrückenden Stille, schmerzend, die Erkenntnis, dass es schon so bald einfach vorbei ist.

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16. Dezember        Vollbremse. Zusammengepresst im Vakuum. Draussen regnet es jetzt. Drinnen ist es immer noch ein bisschen kalt. Nach einem 4-stündigen Nap immer noch müde. Kopfhungrig. Auf Entzug. Das Wasserrad in meinem Kopf dreht im Leeren. Da ist nichts mehr, was es nonstop füttert. Dann vielleicht ist schlafen die beste Idee…

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18. Dezember -Montezuma (NM)

Was ist denn schon zu Hause?
Ein Gefühl, das nach vier Monaten Unterdrückung einen Aufstand macht?
Wenn nach einer vor Fett tropfenden Pizza belegt mit schlampigen Pilzen die
Distanz anfassbar wird?

Was ist denn schon zu Hause?
Ist es die Liebe für den Menschen, der mir eine Geschichte vorliest?
Ist es der Ort, wo die Schneeflocken auf der Nase schmelzen?
Sehnsucht, vermissen, lange Zeit
Was ist schon zu Hause!

Was ist denn schon Realität…würdest du sagen
Durch Herzen verbunden
Es ist genau da, wo nichts anderes seinen Platz hat
Da, wo Winterflammen ihre Wärme verbreiten

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26. Dezember  -Albuquerque (NM)

Halbfrüh am Morgen, noch still im Knoblauch Haus. Nur Charlie steht neben mir am Küchentisch und macht frischen Kaffee. Eine Villa Kunterbunt, lebendig, farbig, jung und voller Traditionen. Eine Tür offen für alle. Egal wie alt, woher, ob laut oder lieber leise, lustig oder ernst, man ist willkommen.

„Omelette for breakfast, ja?“

Wir haben zwei Tage lang gekocht für Weihnachten. Die Küche war ununterbrochen in Betrieb. Jede Stunde füllte ein anderer Duft das Haus. Menschen kamen, halfen wo sie konnten, brachten etwas vorbei und kauften fehlende Zutaten. So viel herrliches Essen für so viele Menschen.

img-20161224-wa0010Ein Weihnachtstisch voll von Leuten, gestrandet, geblieben oder gezwungen zu bleiben in New Mexico. Alle ohne ihre Familie. An diesem Abend gab es keine Steifheiten oder unausgesprochene Worte, die sich über die Jahre in einer etwas eingerosteten Gemeinschaft von Leuten festgesetzt haben. Diese Gemeinschaft bestand aus einem Haufen Menschen, vom Zufall zusammengewürfelt. Viele haben sich noch nie zuvor
gesehen.

Nach dem Essen sassen wir alle um den kleinen Weihnachtsbaum und für jeden gab es ein kleines Geschenk vom Santa Clause im Tausch für eine Geschichte. Manche erzählten von ihrer ersten Begegnung mit den USA, andere teilten Kindheitserinnerungen oder Reisegeschichten. Die Worte brachten mich oft zum Lächeln. So viel haben wir Fremde in diesem Land doch irgendwie gemeinsam. Ich hätte kaum einen besseren Ort finden können, um meine erste Weihnachten weg von zu Hause zu feiern.

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27. Dezember -Albuquerque (NM)     Acoma Pueblo Sky City, die älteste Siedlung in Nordamerika, mitten in der Wüste auf einer hohen Mesa. Traditionelle Stein- und Adobelehmhäuser mit ihren kleinen Fensterchen drängen sich dicht an dicht über dem Abgrund. Kein fliessendes Wasser, kein Strom, kein Teer. Trommeln tönen aus der Mitte des Dorfs hinaus in die kalte, klare Luft. Ein Zedernholzfeuer auf dem trockenen sandigen Platz vor der grossen Kirche inmitten weisser Grabkreuzen. Einige Schritte weiter das Ende der Mesa, der Abgrund und eine glasklare meilenweite Sicht bis zu den rot schimmernden Mesas am Horizont. In der anderen Richtung genauso weit weg eine weisse Bergspitze. Vor dem Feuer die Dorfältesten, für die vor der Kirche getanzt wird. Ein streunender Hund zwischen den Grabkreuzen. Braungebrannte, alte und weise Gesichter, lange dichte, schwarze Haare. Die Kirche, übrig geblieben aus der spanischen San Esteban del Rey Mission, ein grosser Saal mit Jesusbilder und Hirschköpfen an der Wand. Keine Holzbänke, aber ein Weihnachtsbaum in der Apsis. Plastikklappstühle aufgestellt in einem Kreis um die Tänzer herum. Die Sonne schickt ihre Strahlen durch die hohen Fenster, lässt den Staub im Licht glitzern. Am hartgestampften Boden weisse Mokasins, die sich mit dem einfachen Rhythmus der Trommeln bewegen. Begleitet von Gesängen, Wehklagen, eine Sehnsucht nach vergangener Zeit, Respekt vor der Zukunft und Würdigung des Jetzt. Die Metallplättchen der farbig gemusterten Kostüme, die Rasseln der Tänzer, das flatternde Büffelfell und die ernsten Gesichter der jüngsten Tänzer. Die Acoma Pueblo haben mir zum ersten Mal ein echtes Gefühl für die faszinierende Geschichte von diesem Teil des Landes gegeben.

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3. Januar -Seattle       Das Leben schmilzt wie die Sahne einer heissen Schokolade auf der Zunge. Zucker bleibt am Gaumen kleben während die Augen gierig durch das Fenster über den Puget Sound auf die Olympic Mountains starren. Eine einzige weisse Wolke hängt am milchig blauen Himmel. Möven lassen sich in den Wind fallen und fangen sich kurz vor dem Selbstmord wieder auf. Die Sonne blendet, die Stadt ist laut, meine Gedanken ziellos, pausenlos, schrill…bis der Sonnenuntergang alles in weiche Winterfarben taucht und die tausend Lichter anfangen zu flimmern.

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5. Januar 2017 -Portland (OR)             In zwei Tagen werde ich wieder zurückfliegen nach New Mexico. Diese Winterferien waren eine Reise durch neue und aufregende Orte, ein Einblick in die Leben von so vielen verschiedenen Menschen und ständiger Wechsel. Eine Übung im Anpassen und trotzdem sich selber bleiben. Die Tage sind fast unbemerkt an mir vorbeigezogen, gefüllt wie ein zufriedener satter Magen. Mein liebes Heimweh hat sich ab und zu bemerkbar gemacht wenn ich zu Gast bei einer Familie war. Immer wieder wurde ich nach meinem zu Hause gefragt und meinen Geschwister und was die so machen. Bittersüsse Momente. Wie wunderschön, dass es euch gibt, irgendwo…

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Frei?!

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Beim elften Versuch habe ich die richtige Folge von Griffen und Gewichtsverlagerung in der Felswand gefunden und erreiche mit minimalem Kraftaufwand die Spitze. Muskeln in den Fingerspitzen und den Zehen arbeiten zusammen. Meine ganze Konzentration liegt auf der nächsten Bewegung. Möglichst exakt. Es gibt keinen Platz für Gedanken, die wie Weltraummüll in meinem Kopf kreisen. Endlich verstummen die lästigen Hintergrundgeräusche. Alles Unangenehme und Schwierige löst sich auf. Die Droge des süssen Erfolges breitet sich in meinem Körper aus, wenn der letzte sichere Stoss eines Fusses mich über die Felskannte schiebt. Es kümmert mich so wenig, was mal war, was mal kommen wird. Überlasse mich der Kraft der Gegenwart und fühle mich frei.

 

In letzter Zeit habe ich viel über frei sein nachgedacht. Heute Abend haben sich einige dieser Gedanken zusammengefügt und mit Gefühlen und Erfahrungen, die sich über Jahre angesammelt haben, verbunden. Daraus hat sich etwas herauskristallisiert und verfestigt, über das ich nun zu schreiben versuche.

Als kleine Anmerkung: Was ich hier schreibe ist verallgemeinert. Ich bin mir bewusst, dass es Ausnahmen auf dem ganzen Spektrum von positiv bis negativ gibt.

Mit fünf oder sechs Jahren, manchmal auch schon früher, werden wir (alle, die das Privileg haben) in das Schulsystem eingebunden. In diesem System verbringen wir den grössten Teil unserer Kindheit und praktisch alle Jugendjahre, oft bis ins frühe Erwachsenenalter. In dieser Zeit entwickelt sich unser Verständnis für die Welt und die Menschen, mit denen wir leben. Antrieb dafür ist Neugier. Unsere Neugier bestimmt, wie schnell dieser Prozess voran geht. Jedes Kind, ohne Ausnahme, fängt an seine Umgebung zu erforschen, wenn es die Möglichkeit dazu hat. Die Art zu erforschen und zu entdecken ist einzigartig für jeden Menschen. Genauso sind die Interessen, die wir zu einer gewissen Zeit an einem gewissen Ort haben unterschiedlich. Ein Interesse wird aus Neugier geboren und solange die Neugier nicht gestillt ist, werden wir fragen. Das ist so was wie ein Naturgesetz. Es ist der Schlüssel zum Lernen. Es muss nur die Umgebung dafür geschaffen werden und der Rest passiert von alleine. Genauso wie das Leben auf der Erde entstanden ist. Lernen funktioniert nach dem gleichen Konzept wie alle Entwicklungen in der Natur funktionieren.

Aber das Schulsystem hat nichts davon verstanden und bricht dieses Gesetz mit allen verfügbaren Mitteln, statt es zu nutzen. In einer festgelegten Zeit müssen wir uns mit etwas beschäftigen, das uns interessiert, wenn wir Glück haben. In diesem Fall, wird die Neugier und der Wille zu lernen nach einer Stunde mit der Schulglocke abrupt unterbrochen, gezwungen zu stoppen und in ein komplett anderes Interesse umzuschwenken. Das soll in etwa fünf Minuten passieren. Zehn Mal am Tag. Wenn wir das Pech haben, kein Interesse an dem zu finden, was der Lehrer vorne an der Wandtafel erzählt, sind wir gezwungen eine Stunde auf eine Stuhl zu sitzen und künstliches Interesse aufzubringen. Dies ist nicht nur eine hohe Kunst, sondern auch schwer frustrierend, wenn es etwas anderes gibt, an dem wir natürlich interessiert wären. Noch frustrierender ist es jedoch, ständig beim Lernen unterbrochen zu werden. Unsere Individualität wird in Boxen gezwängt und zurecht gebogen. Das Schulsystem bringt Frustration. Jeden Tag. Wir gewöhnen uns relativ schnell daran. Wir kennen ja nichts anderes aber nach spätestens der zweiten Klasse ist die Schule milde gesagt „doof“. Die Frustration ist wie ein Virus, der unsere Neugier befällt und langsam lähmt oder auch tötet. Interessen, die am Anfang noch da waren, sterben ab. Die Krankheit der Gleichgültigkeit befällt die Schulen. Natürlich hat das Schulsystem eine Pille erfunden, um dieses Symptom erfolgreich zu bekämpfen: Prüfungen. Wir arbeiten für eine Bewertung, die uns eine gute Zukunft in der Gesellschaft versichert. Eine Bewertung, die unsere Chancen bestimmt. Wir lernen unter dem künstlichen Druck der Bewertung, statt mit der Antriebskraft der natürlichen und hundertmal wirkungsvolleren Neugier. Wir lernen für eine Zahl und nicht für uns selber. Dabei kann man hier kaum mehr von lernen reden. Die Prüfungspille hat schwerwiegende Nebenwirkungen. Schüler erfinden Strategien, um das Material für Prüfungen so schnell wie möglich in sich hineinzustopfen und an der Prüfung wieder auszukotzen. Dabei bleibt selten etwas hängen. Das ganze Theater ist sinnlos, verschwendet viel Zeit, macht wütend, ist erschöpfend und frustriert einmal mehr. Manche Schüler zerbrechen in den Boxen, in die sie gezwängt werden und ihre Neugier stirbt. Dieses Problem beschränkt sich nicht nur auf die Zeit in der Schule sondern prägt für das Leben. Das Schulsystem produziert Menschen, die verlernt haben neugierig zu sein und lernen zu wollen. Menschen, die auf Leistung und Erfolg getrimmt sind und blind sind für alles was nicht auf diesem Weg liegt. Frustrierte Menschen, geldgierige Menschen, müde Menschen, ignorante Menschen und vor allem unglückliche Menschen.

Ich glaube, dass Bildung die Welt retten kann…

…würde das Schulsystem sich von dem Wort System befreien und sich in etwas umwandeln, das die natürliche Neugier von jedem einzelnen Kind unterstützt und fördert. Das Verständnis und Bewusstsein der Menschen für die Welt und ihre Mitmenschen wäre ein anderes. Und  genau das ist es, was wir in diesem Jahrhundert brauchen. Eine radikale Veränderung.

Ich habe ein starkes Bedürfnis mich nach zwölf Jahren aus diesem System zu befreien. Ich merke, wie meine Neugier nach einem Winterschlaf aufwacht und sich ihren Platz zurück erobert. In ihrer ganzer Kraft. Ich bin hungrig. Ich will frei sein. Ich will lernen, was mich interessiert und nicht, was mir vorgeschrieben wird.

Ich weiss. Ich weiss nur noch nicht genau wie.

 

Die Ereignisse der letzten 24 Stunden waren eine einzige Tragödie. Langsam und unaufhaltsam haben sich die Staaten gestern Abend auf der Amerikanischen Karte rot gefärbt. Im Auditorium versammelte sich der ganze Campus. Der Ausdruck des Entsetzen und Unglaubens spiegelte sich immer stärker in den Gesichtern, die auf die Zahlen auf der grossen Leinwand starrten. Der letzte hoffnungsvolle Jubel als Hillary 55 Stimmen in Kalifornien gewann, hysterisches Lachen, erste Tränen und leise Gebete liessen das sonst so grosse Auditorium auf einmal klein erscheinen. Das, was keiner erwartet hatte, geschah. Trump wurde zum Presidenten der USA gewählt.

Ausnahmslos jede Schulstunde und jedes Gespräch drehte sich heute um die Wahlen. Ironisch strahlte der dunkelblaue Novemberhimmel über der Niedergeschlagenheit, Verwirrung und Verunsicherung. Ich werde nicht von den Auswirkungen dieser Wahl sehr milde betroffen sein. Aber es ist nicht einfach für mich mit dem was passiert umzugehen. Wie soll ich meine Roomie trösten, die schluchzend auf ihrem Bett sitzt weil ihr den ganzen Tag unter die Nase gerieben wurde, wie SCHEISSE ihr Land ist? Wie soll ich reagieren, wenn Lehrer vor der Klasse anfangen zu weinen? Was soll ich sagen, wenn eine Diskussion aus Frustration in totale Fantasien und Spekulationen eskaliert?

Es ist das erste Mal, das ich so etwas erlebe. Es ist unangenehm. Es ist überall, in jeder Ecke und Ritze. Und es tut mir so unendlich leid für alle, die den direkten Auswirkungen dieser Wahl für die nächsten vier Jahre ausgesetzt sind. Im Moment ist alles noch sehr emotional und im Schockzustand. Ich hoffe, dass aus der Katastrophe eine grosse Veränderung hervorgeht.

Meine Antwort ist und bleibt nun umso stärker:

Bildung ist die Wurzel von allem.

 

Ein paar Tage vor dem Wahnsinn, als die Welt noch halb in Ordnung war:

Kollaborative experimentelle Feuerkunst am „dia de los muertos“

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Herbst

Innerhalb von wenigen Tagen machte die grelle und staubige Sommerhitze einer beruhigenden Kälte und vielen warmen Farben platz. Am Morgen ziehen lange Nebelschlangen über die flache karge Ebene, die ich durch mein Fenster sehe. Die wenigen Laubbäume unter den immergrünen Pinien sind zu gelben Farbtupfer geworden. Der Herbst ist gekommen. Meine Lieblingsjahreszeit in New Mexico.

Auch auf der Farm…

Kartoffel, Mais, Bohnen, Tomaten und Zughettiernten, herber sauersüsser frisch gepresster Apple cider, Spaghetti squash, der als Abendessen in der Cafeteria gekocht wird und Pinons, die in ihrer harten Schale essbare Kerne tragen, die nach Olivenöl und New Mexico schmecken.

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Genau vor einem Jahr bin ich durch die Pecos Berge gewandert, habe zum ersten Mal für etwas länger in der nun so vertrauten groben Schönheit der Wildnis, die mich hier umgibt, gelebt. Dieses Jahr, als second year, durfte ich in Montezuma bleiben und versuchen das IB zu überleben. Während der Survival week haben wir auf der Farm einen Horno Brotofen gebaut. Nach der traditionellen Art mit sonnen getrockneten, sandhaltigen Erdblöcken, viel Schlamm und Lehm, wie es die Natives in Nordamerika schon vor tausenden Jahren gemacht haben. Poncho von Santa Fe ist zwei Tage auf unsere Farm gekommen und hat uns mit professioneller Hilfe und viel Fachwissen geholfen, Block für Block aufeinanderzusetzen und festzukleistern. Nach stundenlangem, konsentiertem, klug aussehendes Englisch in den Computer tippen, war die Arbeit auf der Farm Schlammtherapie für eine vernachlässigte Seite von mir, die viel Erde unter den Füssen, frische Luft, die den Geruch der Freiheit trägt, verwurzelte Bäume und manchmal auch Sonnenblumen braucht. Poncho, der zwischendurch alles zum Einsturz brachte und dann in einer Schubkarre sass, rauchte, nachdachte, wie man den Ofen wieder reparieren konnte und darüber philosophierte wie gut unsere weibliche Energie für den Spirit des Hornos ist, brachte uns alle zum Lachen. Das Ergebnis lässt sich trotzdem sehen. Und bald gibt es Pizza und Brot aus dem Horno Ofen….

14608761_595107224007227_6532509820180768232_o 14701020_595107380673878_7074671460318856785_o 14692028_595106967340586_4954892463683932945_o 14633351_595107034007246_7800891485097586117_o14700927_595106410673975_37957171892804872_o 14680808_596374470547169_4721583765260834889_o

 

14435248_10154441507559376_1450246799510433873_oZwischen Himmel und Erde, zwischen den Sternen, zwischen dem Dampf, der von den Hot Springs aufsteigt. Mal da, mal dort, immer irgendwo. Schnell, schneller, ganz schnell, Lichtgeschwindigkeit. Verschwommen. Die Augen, die einem Sonnenuntergang zuschauen, können die Farben nicht verfolgen. Das Gehirn funktioniert zu schnell. Ich kann einen Moment sehen. Weiss nur, dass es einmal hell orange war und jetzt ist es kitschig kirschrot. Das rote Schloss mit den weissen Geländern verschwimmt unter dem farbigen Himmel zu einem surrealen Bild. Meine Hände strecken sich aus und klettern von Moment zu Moment auf dem Kletterfelsen der Zeit. Das Dazwischen ist ausgefüllt von Alltagssorgen, chaotischen Listen und Schule. Sie sind wie ein Fliegenfänger und jeder Versuch, um die Falle herumzukommen und Sinn zu finden, endet in dem tödlichen Kleber. Dampfender Mate Tee zwischen Zahlen, Formeln und anderen Zauberwesen. Ich merke, wie ich langsam etwas müde werde. Kalte Steine und schlechtes Essen in meinem Bauch.14455823_1188600921198530_77107367_o-1 Eine Verspannung im Nacken, die sich nicht abschütteln lässt. Computertasten, ein Tanz der Finger, Verrenkungen im Gehirn. Tee hat ausgedampft. Hämmern an der Tür und grinsende Gesichter. Auch erschöpfte Gesichter, ausdruckslose Gesichter. Müde. Meine Nerven spannen sich. Ich will eine Höhle. Isoliert von Licht, Ton und Information. Mich verkriechen, erst wieder auftauchen, wenn der schwierige Teil vorbei ist. Aber nein. Da ist irgendwo eine Hand. Eine Geschichte. Eine Notiz: „It’s Friday, you can do it!“. Durchatmen.

Wie soll ich  eine Entscheidung treffen, wenn meine Gedanken knapp bis zum nächsten Freitag reichen? Wie soll ich wissen, was das Richtige ist? Für das nächste Jahr, für das Übernächste und für danach. Es fällt mir unglaublich schwer irgendwie darüber nachzudenken. Alle um mich herum schreiben Bewerbungen und planen. „After UWC“ ist zum Gesprächsthema Nummer 1 geworden. Ich habe immer noch irgendwelche Knoten, die jegliche Aktivität in diese Richtung lähmen. Könnte ich in einen Luftballon steigen und dieser komplizierten Welt davonfliegen….

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Ob in mir ein mittelgrosses Durcheinander entstanden ist? Diese Frage wurde mir als Reaktion auf meinen letzten Blog gestellt.

Es ist schwer zwischen Durcheinander und Ordnung zu unterscheiden. Die vertrauten Spiegel, die mich zu Hause reflektiert haben und mir ein Gefühl über den Stand der Dinge in mir drin gegeben haben, existieren hier nicht. Ich habe gelernt mit einem sehr relativen Gefühl von Durcheinander und Ordnung zu leben, das inzwischen so normal geworden ist, dass es mir nicht einmal mehr auffällt. Dies wiederspiegelt sich sicher in meinem Geschriebenen, gemischt mit meiner Freude an der Sprache und dem Zusammensetzen von Worten. Ich kann mir gut vorstellen, dass zwischen-den-Zeilen-Leser, die mich kennen, sich davon irritieren lassen. Ein Rat: Macht euch keine Sorgen um mich. Ein Durcheinander ist nötig für Veränderungen. Lest meine Blogs als ein abstraktes Kunstwerk und nicht als die exakte Wiedergabe meines Lebens. Denn auch die begrenzten Ausschnitte der Zeit, die ich durch Worte auszudrücken versuche sind, ohne das Ganze zu sehen, verzerrt. Interpretationen sind jederzeit erlaubt. Sie sind Inspiration und meistens Anlass, über mich selbst zu kichern.

 

Ich hab mir jetzt eine Höhle unter meinen Bett gebaut. Es ist gemütlich da mit vielen Kissen und Lichterketten. Seither finde ich manchmal jemand zusammengerollt unter meinem Bett, wenn ich zurück in mein Zimmer komme. Es ist irgendwie beruhigend, zu wissen, dass man nicht die einzige mit einem starken Höhlenbewohnerbedürfnis in der Zeit der Entscheidungen und des Schulstress ist…